Lyrikschaufenster


  • Neu erschienen

    Bestiarium der Träume

    Gedichte von Tessa Korber

    mit Illustrationen von Irma Stolz


    52 Tiere sind in diesem Buch versammelt.

    Sie schlafen und träumen.

    Jedes Tier auf seine Weise.

    Und alle erforschen dabei die unbewusste Seite des Lebens.

    ISBN 978-3-00-070760-5 | 24,00 €

    Erhältlich bei

    • Korn & Berg, Hauptmarkt 9, 90403 Nürnberg
    • buch 2003, Germersheimer Straße 4, 90469 Nürnberg
    • Buchladen am Kopernikusplatz, Kopernikusplatz 32, 90459 Nürnberg

    Kindergedichte

    Auswahl

    1
    Ein Stück Wellblech zwischen Bäumen
    macht seinen Sandkasten zum Haus
    mit Prasseldach und Regenwänden.
    Es lauscht hinaus.
    Der Sand zerfällt in seinen Händen.

    4
    Oh, diese Wut, die Wut
    Türenknallen ist noch lange nicht genug!
    Es rennt ins Haus
    und reißt die Seiten seines Comicbuchs heraus.
    Die besten Stellen lässt es aber aus.

    6
    Barbie ist so herzzerbrechend schön
    mit güldenem Haar und Meerjungferngesicht.
    Solche Schönheit braucht einen Namen.
    Das Kind grübelt.
    Sein eigener ist es nicht.
    Jeder bekommt eine Spielfigur.
    Du musst eine Farbe anmelden,
    sonst gibt es keine Helden.
    Sonst singen sie nicht. Singen wie die Kiebitze.
    Dazu muss es Seiten geben. Mindestens zwei muss es geben.
    Hat etwas Seiten im Leben,
    dann singen sie wieder, singen die Lieder
    von richtig und falsch.
    „Der Held liegt im Auge des Betrachters, doch er schert sich nicht drum.“

    Wähl deine Seite und zieh.
    Wähle Schwarz oder Weiß!
    Nicht Feldgrau oder braun wie das Vieh.
    Helden stehen nicht an Übergängen,
    nicht an sanften Hängen,
    selten im Morgengrauen und im Abenddämmer nie.
    Sie stehen High Noon. Schattenlos.
    Ohne den Schatten eines Zweifels, bloß
    im Rücken und die festumwallte Burg.
    „Der Held steht immer am Abgrund, den er sich selbst gegraben hat.“


    Schlag deinen Gegner aus dem Feld,
    Den Gegenheld.
    Helden erkennt man daran,
    dass sie sterben.
    Helden sind niemals Erben.
    Helden leben nicht lang. Helden ist deshalb nicht bang.
    „Helden glauben nicht an Schicksal, sie werfen sich ihm in die eisernen Zähne.“

    Leider verloren.
    Reden wir nicht darüber.
    Singen wir Lieder.
    „Der Held geht niemals im Kreis und das immer wieder.“

    Singen will ich. o Muse,
    von ciao bella ciao bella ciao.
    Wir haben nichts zu verlieren, die Reihen fest geschlossen,
    es klappern die morschen Knochen,
    ins Moor, ins Moor.
    Komm, schöner schwarzer Vogel,
    komm Kiebitz, sing mir das Lied,
    es ist immer das Lied vom Tod.

    Das Leben spuckt Helden wieder aus,
    Das Leben spielt immer remis.
    Nur der Held wird zerkaut und durchverdaut.
    Das Richtige tut man einmal oder nie.
    Dann vergeht dem Kiebitz das Pfeifen.

    Es wird einmal ...

    von und mit Tessa Korber und Elmar Tannert

    Die Vo

    gel

    ma

    le

    rin

     Niemand ist da, sie zu wecken, und doch steht sie auf jeden Morgen.
    Wenn sie für das Frühstück ihre Lieblingstasse gefüllt hat.
    tritt sie an das Fenster, weißlackiert, in der Sandsteinmauer,
    mit Efeu dicht bepelzt, und schaut hinaus in den Hof.
    Sie ist Malerin und diesen Blick, hat sie schon einmal gemalt.
    Das Bild hängt gleich neben der Scheibe, und man weiß nicht genau:
    Hat sie das Fenster gemalt, weil es so idyllisch ist?
    Oder ist vielmehr der Blick hinaus so beglückend,
    weil er zugleich fixiert in der Miniatur weiterlebt.
    Das eine spiegelt das andere.

    Wohnt sie mit ihren Bildern oder lebt sie in ihnen?

    Von den Wänden sehen sie an: ihre längst verstorbenen Hunde,

    die Enkel, inzwischen erwachsen, als rosige blonde Kinder,

    die Blumen vergangener Sommer, deren Samen auch dieses Jahr blühen.

    Draußen im alten Hof wuchern Veilchen, Rosen und Farn,

    viel Efeu und alter Holunder, Blauregen, Tannen und Moos.

    zwischen Holzstapeln, alten Steinen, verrostenden Stangen und Sand,

    Vernachlässigt genug, der Schönheit Chancen zu geben.

    Alles zerfällt in Bilder. Als warte es nur auf den Pinsel.

    Doch am liebsten malt sie die Vögel.

    Am beständigsten fegen die Spatzen durch ihre Hofkulisse.

    Eine tschilpende Wolke, die mit sich selber spielt.

    Das Bild fängt sie ein an der Schale, wo sie sich im Wasser tummeln.

    Die im Unterholz raschelnden Amseln umgibt das kühlere Grün.

    Die Rotkehlchen hat sie im Winter auf einem Schneeast gemalt

    mit Beeren in dem Ton ihrer leuchtenden Brust.

    Draußen posieren sie gerade für ein Sommerbild.

    Finken stürzen sich seither auf die hängenden Futterstellen.

    Ihre funkelnden Farben verblassen im sirrenden Flug,

    doch auf ihrer Leinwand nicht.

    Das empörte Käuzchenpaar könnte gut in der Scheune leben

    die gegenüber steht, mit dem Wappen auf dem Torbogen

    und vom Dachbalken herabstarren, statt vom Titelblatt

    der Zeitschrift des Vogelschutzbundes, der einzigen, die sie noch liest.

    Ihr gemaltes Gurren hängt, in der Wohnküche wie ein Geheimnis.

    Sie sitzt auf ihrem Drehhocker, mit der alten Filzdecke,

    noch immer voll Hundehaar, sitzt dort und schaut und malt.

    Die Leinwand steht immer bereit, gleich neben dem Bügelbrett.

    Sie hat das Bügeln noch als einen Beruf gelernt,

    wie so vieles andere auch:

    Kühe zu hüten, Samen zu züchten, Kränze zu winden, Rüben zu häckseln,

    zu pflügen mit einem Ochsengespann. Und mit dem Pinsel den Punkt

    mit sicherer Hand zu setzen, einen einzigen Lichtpunkt, genau

    auf das schwarze Vogeltierauge, einen pinselhaarfeinen Punkt

    der dem Blick die Seele gibt. Ein Punkt, ich habe ihn,

    unter der Lupe betrachtet, aber was heißt das schon.

    Die Hand hat ihn sicher gesetzt, und das Leben in jenem Blick

    ist nicht mehr zurücknehmbar. So setzt sie auch ihre Tage.

    Das Leben nimmt keinen zurück. Sie malt sie, macht alles sichtbar

    und lebt im Echo der Bilder.

    Auf ihrem Malerstuhl sitzend, wie die Eule in ihrem Gebälk,

    umgeben von ihren Werken, wartet sie auf den Moment.

    Weil sie auch das Warten gelernt hat. Sie weiß, dass der Augenblick kommt.

    Er ist alles, worauf es ankommt. Wenn er da ist, wird sie bereit sein.

    Ganz plötzlich wird er im Hof stehen. So wie der Eisvogel mit

    seinen herzschlaganhaltenden Farben,

    einer Schönheit, die man

    nur der Malerin

    glaubt.


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